Anlässlich des 191. Dies academicus bot die Universität Bern eine Bühne für eine tiefgreifende Selbstreflexion über ihre Rolle in einer von globalen Krisen und rasanten Veränderungen geprägten Welt. Die traditionsreiche Stiftungsfeier, die alljährlich an die Gründung der Institution im Jahre 1834 erinnert, war weit mehr als nur ein zeremonieller Akt; sie entwickelte sich zu einem Forum für essenzielle Debatten über Identität, Verantwortung und die Zukunft der internationalen Wissenschaftskooperation. Im festlichen Rahmen des Casino Bern wurden nicht nur akademische Exzellenz durch die Verleihung von Ehrendoktortiteln und Preisen gewürdigt, sondern auch die drängenden Fragen unserer Zeit adressiert. Von finanziellen Sorgen über die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit bis hin zur strategischen Neuausrichtung der internationalen Vernetzung spannte sich der Bogen der Diskussionen, die verdeutlichten, dass die Universität sich ihrer Verpflichtung bewusst ist, aktiv an der Gestaltung einer nachhaltigen und gerechten Zukunft mitzuwirken und Antworten auf die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu finden.
Die Doppelte Identität der Universität Lokal Verankert und Global Vernetzt
In ihrer programmatischen Eröffnungsrede legte Rektorin Virginia Richter das vielschichtige Selbstverständnis der Universität Bern dar, das sich durch eine duale Identität auszeichnet. Einerseits ist die Institution tief in ihrer Region verwurzelt und fungiert als unersetzlicher wirtschaftlicher und kultureller Motor für die Stadt und den Kanton Bern. Als siebtgrösste Arbeitgeberin leistet sie einen erheblichen Beitrag zur lokalen Wertschöpfung und prägt das gesellschaftliche Leben massgeblich mit. Diese starke lokale Verankerung ist jedoch kein Widerspruch zu ihrem überregionalen Anspruch, sondern bildet das stabile Fundament, auf dem ihre nationale und internationale Geltung aufbaut. Die Rektorin betonte, dass diese regionale Stärke die Voraussetzung dafür ist, als drittgrösste Universität der Schweiz eine führende Rolle einzunehmen und auf der globalen Bühne, beispielsweise in der international hoch angesehenen Weltraumforschung, als kompetente und verlässliche Partnerin wahrgenommen zu werden. Diese Symbiose aus lokaler Verantwortung und globaler Ambition definiert das Wesen der modernen Universität Bern und ist der Schlüssel zu ihrer zukünftigen Entwicklung in einem wettbewerbsintensiven Umfeld.
Andererseits machte die Rektorin unmissverständlich klar, dass die lokale Stärke ohne eine konsequente globale Ausrichtung nicht aufrechtzuerhalten wäre. „Um stark in der Lehre zu sein, um in der Forschung wettbewerbsfähig zu bleiben, muss die Universität Bern international hervorragend vernetzt sein“, erklärte sie. Diese Vernetzung ist kein Selbstzweck, sondern eine strategische Notwendigkeit, um den Zugang zu internationalem Wissen zu sichern, die besten Talente anzuziehen und an den grossen wissenschaftlichen Diskursen teilzuhaben. Aktive Mitgliedschaften in renommierten europäischen Netzwerken wie der Universitätsallianz „ENLIGHT“ und „The Guild“, einer Vereinigung von 23 forschungsintensiven Universitäten, sind entscheidende Instrumente, um diesen Anspruch zu verwirklichen. Vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Spannungen und globaler Krisen gewinnt die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit eine neue Dringlichkeit. In diesem Kontext wurde die Nachricht über die bevorstehende Reassoziierung der Schweiz am EU-Forschungsprogramm Horizon Europe als eine ausserordentlich positive und richtungsweisende Entwicklung begrüsst, die den Schweizer Forschungsplatz nachhaltig stärken wird.
Freiheit der Wissenschaft und Drängende Finanzielle Sorgen
Ein zentrales und mit grossem Nachdruck vorgetragenes Anliegen der Rektorin war das unmissverständliche Bekenntnis zur Freiheit der Wissenschaft als unantastbarem Grundpfeiler des universitären Lebens. Mit klaren Worten unterstrich sie die Haltung der Universitätsleitung: „In Forschung und Studium darf es keine Einschüchterung, keinen Zwang bei der Wahl der Themen und Methoden, keine Behinderung beim Zugang zu Materialien und Quellen und keine Einschränkung bei der Wahl von Kooperationspartnern geben.“ Dieses fundamentale Prinzip verknüpfte sie direkt mit der aktuellen und gesellschaftlich hochsensiblen Debatte um den Umgang mit dem Krieg in Gaza. Sie räumte ein, dass die Universität Bern sich in diesem Zusammenhang auch Kritik stellen musste, und versicherte, dass die Leitung sich intensiv mit den geäusserten Bedenken, auch aus den eigenen Reihen, auseinandergesetzt habe. Es wurde betont, dass der Dialog mit verschiedenen Gruppen aktiv gesucht wurde, um zu einer differenzierten und verantwortungsvollen Haltung zu gelangen. Dieser Prozess der kritischen Selbstreflexion verdeutlicht das Ringen der Institution, ihre Werte auch in Zeiten grosser polarisierender Konflikte konsequent zu verteidigen und gleichzeitig ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.
Neben den gesellschaftspolitischen Herausforderungen richtete die Rektorin den Fokus auf die ernste Lage der nationalen Forschungsfinanzierung, die der Universität zunehmend Sorgen bereitet. Sie verwies auf den dramatischen Einbruch der Förderquote des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), die von über 50 Prozent auf alarmierende 20 Prozent gesunken ist. Diese Entwicklung hat weitreichende Konsequenzen für die Planungssicherheit und die Durchführung innovativer Forschungsprojekte. Obwohl der Kantonsbeitrag in den letzten Jahren eine positive Entwicklung verzeichnete, sind die Ausgaben der Universität aufgrund gestiegener Anforderungen und allgemeiner Teuerung deutlich schneller gewachsen als die Einnahmen. Diese Diskrepanz machte moderate, aber spürbare Sparmassnahmen unumgänglich. Die vom Regierungsrat beschlossene Erhöhung der Studiengebühren leistet zwar einen Beitrag zur finanziellen Konsolidierung, doch insbesondere die deutliche Anhebung der Zusatzgebühren für ausländische Studierende wird mit grossem Bedauern gesehen. Richter warnte eindringlich vor den potenziellen Folgen: „Dies macht uns zweifellos weniger attraktiv für die Talentiertesten und kann sich negativ auf die Qualität einiger Masterstudiengänge, insbesondere in den Naturwissenschaften, auswirken.“
Vielfältige Perspektiven auf die Zukunft der Wissenschaft
Die Berner Bildungs- und Kulturdirektorin, Regierungsrätin Christine Häsler, überbrachte nicht nur Grussworte der Politik, sondern bekräftigte auch die immense Bedeutung der Universität für den Kanton und die gesamte Gesellschaft. Sie hob hervor, dass die Zusammenarbeit über disziplinäre und sektorale Grenzen hinweg der Schlüssel zum Erfolg sei: „Je mehr man über die Grenzen des eigenen Bereichs hinaus zusammenarbeitet, desto besser gelingt das.“ Sie lobte die Universität explizit für ihre Bemühungen, den Dialog mit der Öffentlichkeit aktiv zu fördern und wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich zu machen. Ihre Rede gipfelte in einer wichtigen Botschaft der Unterstützung: Häsler kündigte eine spürbare Steigerung des Kantonsbeitrags um 4 Prozent für das Jahr 2025 an, gefolgt von einer geplanten weiteren Erhöhung von über 7 Prozent für das Folgejahr. Diese finanzielle Zusage wurde als klares politisches Bekenntnis zum Wert der Universität und als Investition in die Zukunft des Wissensstandorts Bern verstanden. Jan Palmowski, Generalsekretär von „The Guild of European Research-Intensive Universities“, erweiterte die Perspektive um eine globale Dimension und skizzierte die veränderten Rahmenbedingungen für die internationale Wissenschaft. Er identifizierte drei besorgniserregende Tendenzen: die zunehmende Politisierung internationaler Kooperationen, den relativen Verlust der wissenschaftlichen Vormachtstellung Europas und die Gefahr, dass private Akteure, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz, bestehende Ungleichgewichte weiter verschärfen.
Die Perspektive der Studierenden wurde von Ainhoa Martinelli und Jill Federer, Vorstandsmitgliedern der Studierendenschaft der Universität Bern (SUB), eindrucksvoll in die Diskussion eingebracht. Sie formulierten den klaren Wunsch der Studierenden, nicht nur als Empfänger von Wissen betrachtet, sondern als aktive Gestalter am politischen und gesellschaftlichen Diskurs beteiligt zu werden. Ihre zentrale Forderung richtete sich an die Lehre: Die Universität müsse die Förderung des kritischen Denkens und des Hinterfragens von etablierten Meinungen noch stärker in den Mittelpunkt rücken. „Wir werden die Entscheidungsträgerinnen und -träger der Zukunft sein. Umso wichtiger ist es, dass diese Fähigkeiten bereits in der Lehre gefördert werden“, lautete ihr Appell. Damit forderten sie ein partnerschaftliches Miteinander, in dem Studierende als zukünftige Führungskräfte ernst genommen und befähigt werden, komplexe Probleme zu analysieren und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Ihr Beitrag unterstrich, dass die Ausbildung an der Universität weit über die reine Wissensvermittlung hinausgehen und die Persönlichkeitsentwicklung sowie die Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe umfassen muss, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein.
Eine Würdigung von Exzellenz und Menschlichen Verbindungen
Der Dies academicus war schliesslich auch ein Anlass, der herausragende wissenschaftliche Leistungen und langjähriges Engagement feierte und damit den gemeinschaftlichen Geist der Institution würdigte. Die Verleihung von fünf Ehrendoktorwürden durch die Fakultäten an verdiente Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Disziplinen setzte ein starkes Zeichen für die Anerkennung von Exzellenz über die eigenen Mauern hinaus. Zusätzlich wurden zehn akademische Preise an Forschende und Lehrende für ihre ausserordentlichen Beiträge in ihren jeweiligen Fachgebieten vergeben, was die hohe Qualität der Arbeit an der Universität Bern unterstrich. Ein besonders emotionaler und unerwarteter Moment ereignete sich gegen Ende der Veranstaltung, als die Rektorin die bevorstehende Verabschiedung von Generalsekretär Christoph Pappa bekannt gab. Sein jahrzehntelanges, unermüdliches Engagement für die Universität wurde unter langanhaltendem Applaus der Anwesenden mit der Überreichung einer Ehrenurkunde gewürdigt. Dieser Akt des Danks und der Anerkennung zeigte, dass hinter den strategischen Debatten und institutionellen Strukturen die menschlichen Verbindungen und das persönliche Engagement der Einzelnen das Fundament der universitären Gemeinschaft bilden. Die Feierlichkeiten machten deutlich, dass trotz aller globalen Herausforderungen und internen Debatten die Würdigung von Leistung und der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft zentrale Werte blieben.
