Während Deutschland entschlossen den Weg in eine Zukunft mit erneuerbaren Energien beschreitet, tritt eine fundamentale Herausforderung immer deutlicher zutage: die Stabilisierung des Stromnetzes, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. In einer baden-württembergischen Kleinstadt wird nun eine innovative Technologie erprobt, die genau diese Schwachstelle, die sogenannte Dunkelflaute, adressiert und eine Blaupause für die nationale Versorgungssicherheit liefern könnte.
Die Dunkelflaute als Lösbare Herausforderung
Die größte Schwachstelle der Energiewende ist die Volatilität von Wind- und Solarenergie. Phasen, in denen ein Überangebot an günstigem Strom das Netz flutet, wechseln sich mit Perioden ab, in denen eine teure und oft fossile Stromerzeugung notwendig wird, um die Nachfrage zu decken. Diese Unbeständigkeit erfordert intelligente und flexible Speicherlösungen, die über die Kapazitäten herkömmlicher Großbatterien hinausgehen.
In Mühlacker nehmen die Stadtwerke diese Herausforderung direkt an. Statt auf kurzfristige Batteriespeicher zu setzen, pilotiert das Unternehmen eine reversible Brennstoffzelle, die als „Dunkelflaute-Killer“ fungiert. Diese Anlage des bayerischen Start-ups Reverion stellt eine Brücke zwischen Stromerzeugung und langfristiger Energiespeicherung dar und nutzt dabei eine bereits vorhandene Infrastruktur.
Das Kraftwerk im Kreislauf bei den Stadtwerken Mühlacker
Das Herzstück des Systems ist seine bidirektionale Funktionsweise. Steigt der Strombedarf im Netz und damit auch der Preis, erzeugt die 100-Kilowatt-Anlage flexibel Elektrizität. Als Brennstoff dient dabei Biomethan, das direkt von einer benachbarten Biogasanlage bezogen wird und so eine lokale, CO₂-neutrale Energiequelle nutzt.
Bei einem Überangebot an erneuerbarer Energie, beispielsweise an sonnigen und windigen Tagen, kehrt die Anlage ihren Prozess um. Sie nutzt den günstigen, überschüssigen Strom aus dem Netz, um Wasser und CO₂ in speicherbares, künstliches Methan umzuwandeln. Dieser Power-to-Gas-Prozess ermöglicht es, Energie über lange Zeiträume verlustfrei zu speichern und bei Bedarf wieder abzurufen.
Dieses System bildet einen geschlossenen Kreislauf. Das zur Stromerzeugung genutzte Biomethan stammt aus Gülle und landwirtschaftlichen Reststoffen, wodurch klimaschädliche Emissionen vermieden werden, die sonst in die Atmosphäre gelangen würden. Das bei der Methanisierung verwendete CO₂ wird ebenfalls aus der Biogasanlage abgeschieden, was die Klimabilanz weiter verbessert.
Zahlen Fakten und der Entscheidende Vorteil von Methan
Die Wirtschaftlichkeit der Technologie ist ein zentrales Argument für ihren Einsatz. Die Stromgestehungskosten liegen bei rund 10 Cent pro Kilowattstunde, was die Anlage wettbewerbsfähig macht. Mit einer geschätzten Amortisationszeit von nur viereinhalb Jahren stellt das Projekt eine ökonomisch sinnvolle Investition dar, die sich schnell rechnet und gleichzeitig das Stromnetz stabilisiert.
Im direkten Vergleich mit Wasserstoff als Speichermedium bietet Methan entscheidende Vorteile. Es besitzt eine dreimal höhere Energiedichte, was eine kompaktere Speicherung ermöglicht. Darüber hinaus kann Methan verlustfrei über Monate gelagert und vor allem über die bestehende Erdgasinfrastruktur transportiert und verteilt werden, ohne dass kostspielige Umbauten notwendig wären.
Vom Pilotprojekt zur Nationalen Strategie in Deutschland
Der Betreiber in Mühlacker sieht das Projekt nicht als Insellösung, sondern als Modell für eine nationale Strategie. Die Vision ist es, diese Technologie auf die rund 10.000 Biogasanlagen in ganz Deutschland auszuweiten. Jede dieser Anlagen könnte zu einem dezentralen, flexiblen Kraftwerk und Energiespeicher umfunktioniert werden, um das Stromnetz lokal zu stabilisieren.
Das Potenzial dieser Skalierung für den Klimaschutz ist enorm. Berechnungen zufolge könnten durch die flächendeckende Implementierung dieser reversiblen Brennstoffzellen 10 bis 15 Prozent der nationalen CO₂-Emissionen eingespart werden. Damit würde ein dezentrales Netzwerk entstehen, das einen messbaren und entscheidenden Beitrag zum Gelingen der Energiewende leistet.
Das Projekt in Mühlacker demonstrierte eindrucksvoll, dass die dezentrale Speicherung und flexible Erzeugung von Energie eine praktische und wirtschaftlich tragfähige Lösung darstellt. Es wurde klar, dass die intelligente Verknüpfung von Bioenergie und Power-to-Gas-Technologie nicht nur die Stabilität des Stromnetzes erhöhte, sondern auch einen gangbaren Weg für eine schnellere und robustere Energiewende ebnete.
